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30 Jahre Feministisch Predigen

Festschrift für Renate Jost

Frühjahr 1991: Sabine Bäuerle und Elisabeth Müller (Jost/Schweiger, S. 118 ff), zwei junge Pastorinnen, die die feministische Theologie kennen und lieben gelernt hatten, verzweifelten an den gängigen Predigthilfen auf dem Markt. Nichts war da von den Erkenntnissen der Feministischen Theologie zu finden. Gott war Herr und Vater, Gesetz und Evangelium ließen sich problemlos auf Altes und Neues Testament übertragen. In der Sprache und den Predigtbeispielen blieben Frauen weiterhin weitgehend unsichtbar. Das sollte anders werden. Die beiden initiierten ein Predigtprojekt mit Frauen. Ihre Idee: Frauen schreiben andere, feministische Predigten. Sie fanden 30 Frauen, die die Keimzelle für das „Notprogramm für gestresste Predigerinnen“ wurden.

Im Laufe des Projektes merkten sie aber schnell: nur weil eine Frau eine Predigt schreibt, muss sie weder gut noch feministisch sein. Und bei den Autorinnen gab es unterschiedliche Interessen: Die einen waren froh, für den regelmäßigen sonntäglichen Predigtdienst dieses Notprogramm zu haben, andere schrieben mit, weil ihnen die inklusive Sprache wichtig war. Und wieder andere hatten ein dezidiertes Interesse an der Art, wie feministisch-theologische Exegese Bibeltexte neu, radikal und befreiend zum Klingen erweckte. Das brachte Änderungen in der Konzeption mit sich. 1995 wurde auf einer Tagung mit am Projekt beteiligter Frauen der Projektname in „Feministische Predigtreihe“ geändert – der Fokus sollte auf „feministisch“ und nicht auf „gestresst“ liegen. Und es wurden inhaltliche Kriterien für eine feministische Predigt formuliert: Inklusive Sprache, das Überprüfen und Infrage stellen von gängigen dogmatischen Positionen, Frauenerfahrungen, die für die Predigt relevant gemacht werden, die Perspektive von Frauen, die wahrgenommen und reflektiert werden soll.

Die „Feministische Predigtreihe“ wurde nicht nur von der Diskussion dieser Kriterien geprägt, sondern auch von patriarchalen Strukturen behindert: Neben der Arbeit trugen Frauen damals wie auch noch heute einen Großteil der Familienarbeit. Die damit einhergehende schwierige Planbarkeit der eigenen Projekte führte oft zu Abgabeschwierigkeiten.
Nachdem Sabine Bäuerle und Elisabeth Müller die „Feministische Predigtreihe“ zehn Jahre herausgegeben hatten, führte ihre Suche nach Nachfolgerinnen zunächst nicht zum Erfolg. So wurde 2002 die letzte Ausgabe für das Predigtjahr 2002/2003 herausgegeben. Dann aber übernahm Martje Brandt, eine junge Kollegin die Idee und Konzeption des Projektes. Sie holte Jessica Diedrich für die Organisation mit ins Boot und fand mit Martina Gutzler, Marita Lersner und dann für 7 Jahre Elke Stein schließlich Mitherausgeberinnen für die nächsten 11 Jahre. Die „Feministische Predigtreihe“ hieß nun „Feministisch predigen“. Aber nicht nur der Name änderte sich.
Um eine qualifizierte Rückmeldung an die Autorinnen geben zu können, wurden die Lektorinnengruppen eingeführt. Über das ganze Bundesgebiet verteilt treffen sich bis heute nach dem Abgabetermin Frauen, um die Predigten im Blick auf die Kriterien zu lesen und den Autorinnen ihre Fragen und Anregungen zur Überarbeitung weiterzugeben. Einerseits wird diese Arbeit in den Lektorinnengruppen zumeist hochgeschätzt. Die Lektorinnen setzen sich mit den Predigten der Autorinnen und damit immer auch mit dem eigenen Predigtverständnis in der Gruppe auseinander. Die Autorinnen bekommen eine detaillierte Rückmeldung auf ihre Predigt, was im normalen pfarramtlichen Alltag für viele sehr selten ist. Andererseits muss bis heute an der Kultur der Rückmeldungen weiter gearbeitet werden – Predigten sind etwas Eigenes, Persönliches. Darüber Kritik zu hören oder zu lesen, auch wenn sie konstruktiv ist, muss geübt werden. Es gilt, dieses bei den Rückmeldungen mit zu bedenken und immer den Unterschied zwischen eigener Frömmigkeit und eigenen Geschmacksfragen im Gegensatz zu den Kriterien feministischer Predigt im Blick zu behalten.
2014 luden Martje Brandt und Elke Stein zu einer Tagung in Frankfurt ein, um neben der inhaltlichen Arbeit erneut die Frage nach der Zukunft des Projektes zu stellen. Luise Metzler und ich erklärten sich zu Nachfolgerinnen bereit und Dagmar Sydow überbrückte das Jahr, bis Luise Metzler in das Projekt einsteigen konnte. So war gewährleistet, das „Feministisch Predigen“ weitergehen konnte. Das heute noch aktuelle Team der Herausgeberinnen wandelte das Projekt in einen eingetragenen Verein. Die jetzt jährlichen stattfindenden Tagungen dienen dazu, dass Autorinnen, Lektorinnen und Herausgeberinnen sich austauschen können. Dazu gehört auch ein Fachtag zu einem feministisch-theologischen Thema (weiteres unter www.feministisch-predigen.de).

Die Frage, was das Feministische an den Predigten dieser Reihe sei, ist so alt wie dieses Projekt selbst. Dadurch zeigt sich aber auch ein Kennzeichen Feministischer Theologie, die immer kontextbetont arbeitet. Und im Laufe der 30 Jahre, in denen dieses Projekt besteht, haben sich auch die Kontexte, in denen Theolog*innen predigen, verändert.
Im Folgenden werden die heute im Projekt geltenden Kriterien dargestellt und am Ende ein Ausblick auf weitere Entwicklungen versucht.

 

1. Die eigenen Perspektive bewusst machen
Feministische Prediger*innen reflektieren die eigene Subjektivität ihrer Arbeit. Die Prediger*in tritt mit dem Bibeltext, mit seiner Rezeption und gegenwärtigen theologischen Erkenntnissen, die sie wahrnimmt, in einen Dialog. Und sie tut dies bewusst und reflektiert. Das bewahrt davor, den biblischen Text zu vereinnahmen und zeigt, dass Predigten keine allgemeingültigen Wahrheiten verkünden wollen. Sondern sie sind eine Momentaufnahme, gebunden an eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Ort, eine bestimmte Situation und eine bestimmte Person (Dieser Ansatz führte dazu, dass Autorinnen seit 2003 ihren eigenen Kontext beschreiben sollen.).
Die Reflektion eigener Subjektivität gilt auch für das Eintragen von Frauenerfahrungen in feministische Predigten. Frauen* leben in so diversen Zusammenhängen, dass die Erfahrungen als weiße etablierte Mittelstandsfrauen – zu denen viele Autorinnen gehören - nur einen kleinen Bereich von Frauenleben hier sichtbar macht.

 

2. Eine bewusste inklusive Sprache
Sprache schafft Realität, Worte sind nicht nur Buchstaben, sondern lassen Bilder in den Hörenden entstehen. Deshalb achten Feministische Predigten auf die durch Sprache Marginalisierten. Sie machen Frauen in der Bibel dort sichtbar, wo sie nur mitgemeint oder verschwiegen werden. Sie legen Gott sprachlich nicht auf ein Geschlecht fest, sondern nutzen die Vielfalt der Gottesbilder der Bibel in Predigt und Liturgie.

 

3. Machtkritischer Umgang mit Bibeltexten und deren Rezeption
Feministische Prediger*innen reflektieren, dass biblische Texte ebenfalls in ihrem Kontext gelesen werden müssen. Biblische Texte entstanden häufig in gewaltgeprägten Verhältnissen in einem androzentrischen, patriarchalen und damit oft genug auch frauenfeindlichen Kontext. Die Rezeption dieser Texte spiegelt diesen Kontext wieder. Dieses gilt es zu benennen und zu kritisieren („Hermeneutik des Verdachts“)
Dasselbe gilt für die Rezeption theologischer Entwürfe.

 

4.Sensibilität für antijudaistische Untertöne
Die Feministische Theologie hat in den vergangenen Jahrzehnten – auch aus eigenen bitteren Erfahrungen - viel dafür getan, dass Prediger*innen sensibel für Antijudaismen in ihrer Verkündigung geworden sind. Gleichwohl schleichen sich immer noch antijudaistische Tendenzen in Predigten ein. Feministische Prediger*innen lesen die Hebräische Bibel als „Wahrheitsraum des Neuen“ (Bezug zu Frank Crüsemann, Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Die neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011).

 

Ausblick
Im dritten Jahrzehnt dieses Projektes zeichnen sich für die Zukunft einige Fragen ab:

  1. Grundsätzlich diskutieren feministische Theolog*innen immer wieder die traditionelle Form der Predigt, bei der eine Person allein auf der zumeist erhöhten Kanzel steht, die spricht und der die anderen zuhören – auch wenn in der Predigtreihe bislang für jeden Sonntag ein Gottesdienstentwurf für einen „traditionellen“, überall haltbaren Gottesdienst veröffentlich wird.
    Bibliolog, partizipativ gestaltete Gottesdienste und andere Formen haben diese Frage schon konstruktiv aufgenommen. Interessant wird es sein, zu sehen, wie die partizipativen digitalen Formate, die während der Pandemie entstanden sind (z.B. Zoomgottesdienste) feministische Predigten und Gottesdienstgestaltungen verändern.
  2. Feministisch Predigen ist als ein Projekt von Frauen für Frauen entstanden. Autor*innen und Lektor*innen sind bis heute ausschließlich Frauen, unter den Nutzer*innen sind auch Männer. In der Zukunft wird die Frage sein, ob sich die Projektbeteiligung ausschließlich durch das Kriterium Mann* Frau* definiert.
  3. Susanne Sengstock weist im Vorwort der von ihr geplanten Dissertation über „Feministisch Predigen“ darauf hin, dass die Feministische Theologie stärker von Exeget*innen als von systematischen Theolog*innen geprägt wurde. Feministischer Theologie stellt gängige dogmatische Positionen in Frage. Das hat auch Konsequenzen in der systematischen Theologie. In den vergangenen Jahrzehnten sind interessante feministische systematisch–theologische Neuentwürfe der Christologie sowie von Kreuz und Auferstehung formuliert worden. Auch ekklesiologische Entwürfe aus Gender-Sicht wurden entwickelt. In jüngster Vergangenheit kamen verstärkte interkulturelle bzw. interreligiöse Ausrichtungen dazu. Wie diese Erkenntnisse auch die feministisch-theologischen Predigten verändern und beeinflussen werden, bleibt eine spannende Frage.

 

Literatur:
Renate Jost/Ulrike Schweiger (Hrsg.):
Feministische Impulse für den Gottesdienst
Stuttgart-Berlin-Köln 1996

 

Autorin:
Susanne Paul (*1962), Landespastorin für die Arbeit mit Frauen und Leiterin des Frauenwerks im Haus kirchlicher Dienste der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Mitherausgeberin von „Feministisch Predigen“ seit 2014